Gastbeitrag

Fortschrittskoalition? Ohne Innovationen geht es nicht

Große Ambitionen, kleine Wirkung: Wirtschaftsminister Robert Habeck, Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner während der Eröffnung des LNG-Terminals in Wilhelmshaven Anfang Dezember.

Große Ambitionen, kleine Wirkung: Wirtschaftsminister Robert Habeck, Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner während der Eröffnung des LNG-Terminals in Wilhelmshaven Anfang Dezember.

Die Regierung von Kanzler Olaf Scholz ist im vergangenen Jahr mit viel Ambitionen gestartet. Sie wurde als Fortschrittskoalition bezeichnet, er selbst als Klimakanzler, es schien ein Aufbruch möglich nach den langen Jahren des großkoalitionären Phlegmas. Aber nun scheint das alles zusammenzusacken, und das ist tragisch.

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Wir, die wir diesen Text verfassen, sehen uns als Teil einer breiteren gesellschaftlichen Koalition von Institutionen und Individuen, die dieses Land verändern wollen – im positiven Sinn, nach vorne denken, neu anfangen, aufbrechen. Wie dringend nötig das ist, zeigen die Debatten um den Krieg in der Ukraine und die Folgen, für Energie, Mobilität, sozialen Zusammenhalt in dramatischer Weise.

Was uns beschäftigt und besorgt, ist die Tatsache, dass diese Regierung es nicht schafft, in dieser Krisensituation den Fortschrittsgeist zu transportieren, den konstruktiven Optimismus zu bewahren, die richtigen Entscheidungen und Weichenstellungen für eine gelingende Zukunft zu treffen.

Die Polykrise bietet auch vielfache Chancen

Dabei birgt diese Krise, die eine vielfach gestapelte Krise oder Polykrise ist mit lang zurückreichenden Ursachen, das Potenzial für innovative Lösungen – aus den Problembeschreibungen lassen sich im Grunde relativ passgenau die Lösungskonzepte für ein anderes Land im neuen Jahrhundert finden: nachhaltige Energie statt Öl, Gas, Kohle, die komplette Elektrifizierung, andere und erschwingliche Mobilitätskonzepte, Investitionen in Zukunftstechnologien, ein infrastruktureller Masterplan.

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Die Koalition, glauben wir, hat in der Zusammensetzung immer noch die richtigen Komponenten für die drängenden Herausforderungen: das Staatsverständnis und die emanzipatorische ökonomische Ambition der SPD, das ökologische Bewusstsein und der Optimismus der Grünen, die Tradition der individuellen Freiheit verbunden mit Verantwortung der FDP. Aus diesen verschiedenen und in manchen Momenten konträren Positionen könnte sich, immer noch, der Spirit für sprunghafte Veränderungen speisen.

Was das bedeutet, das zeigt die Klimakrise exemplarisch, es gilt aber auch für die nachgelagerten Krisen von Energie, Infrastruktur, sozialer Gerechtigkeit: Es braucht eine Neudefinition von Staat und Markt und des Verhältnisses dieser beiden sich nur scheinbar widersprechenden Faktoren – tatsächlich gilt es genau, diese Dichotomie zu überwinden, wenn es Fortschritt und Innovation für dieses Land geben soll.

Die Klimakrise wird nicht durch den Markt gelöst, der in vielen für die Klimakrise selbst verantwortlich ist, mit falschen Anreizen und verzerrten Marktbedingungen – eine Lösung wird es nur geben, wenn sich die volle Kraft des Staates, Investitionen, Regulierung, Förderung, mit einer bestimmten Form von verantwortungsvollem Marktverständnis verbindet.

Es geht vor allem um private Investitionen

In der Bandbreite globaler Zielstellungen liegen riesige Finanzierungsbedarfe, die Lücke beträgt bereits jetzt rund 2,5 Billionen US-Dollar jährlich. Eine entscheidende Rolle kommt deshalb dem Impact Investing zu, das in der Tradition der sozialen Marktwirtschaft und einem wertebasierten und innovativen Unternehmertum steht. Anders als bei ESG-Investments, die negative soziale, ethische oder ökologische Geschäftsmodelle lediglich ausschließen, geht es um das Erzielen einer finanziellen Rendite und das aktive Anstoßen gesellschaftlichen Wandels.

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Frühphasenförderung, Investitionszuschüsse, öffentliche Investitionen in Impact-Fonds, stärkere Anreize für gemeinnützige Anleger und Anlegerinnen: All das kann dafür sorgen, dass ein Vielfaches an Kapital zur Bewältigung sozialer und ökologischer Herausforderungen aktiviert wird.

Aus den drei Faktoren Staat, Individuum, Experiment lässt sich eine Art Formel für Innovation destillieren, wobei sich Eigenverantwortung und Gemeinsinn, Mut und Sinn, Risiko und Vernunft und staatliche Sicherheit, Finanzierung und Planung mit einem unternehmerischen Denken verbinden, das auf mehr zielt als die reine Profitmaximierung.

Es geht darum, die Marktwirtschaft so zu reformieren, dass das Gemeinwohl im Mittelpunkt steht und die Denk- und Handlungsweisen des 21. Jahrhunderts Einzug finden in ein Gebilde, das in vielem aus dem 19. Jahrhundert stammt. Die Interessen kommender Generationen müssen genauso berücksichtigt werden wie die planetaren Grenzen. Veränderung findet statt, wenn der Druck sich erhöht. Jetzt ist so ein Moment.

Wir müssen deshalb die Bedingungen herstellen, unter denen das Neue entstehen kann. Wir müssen die Gelegenheiten zum gesteuerten Experimentieren in dieser Gesellschaft verankern – vom eigenen Leben über Schule, Hochschule, lebenslanges Lernen bis zu Institutionen, die Ergebnisoffenheit nicht als Bedrohung sehen, sondern als wesentliches Gestaltungsmittel unserer Zukunft.

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Wir brauchen einen breiten Aufbruch

Der Aufbruch muss breit und inklusiv sein. Zu groß sind schon die Fliehkräfte innerhalb der Gesellschaft, zu groß ist auch die Gefahr, dass sich die Transformation im Klein-Klein verliert. Um wirklichen Wandel zu gestalten, müssen Partnerschaften von öffentlichen und privaten Akteuren intensiviert werden – es muss sich ein Denken etablieren, das durch „Change Agents“ vorangetrieben wird. Eine wichtige Rolle spielen hier Denkfabriken und Nichtregierungsorganisationen, die den Diskurs flankierend zur handelnden Politik gestalten können.

Es geht dabei darum, alte Konflikte oder Widersprüche aufzuheben – etwa den von Top down versus Bottom up. Diese beiden Ansätze für Veränderung, die einerseits von oben, also vom Staat, der Unternehmensführung, der Behördenleitung vorangetrieben wird, und andererseits von unten, von Bürgern und Bürgerinnen, Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, Beamten, schließen sich nicht aus, im Gegenteil, im Idealfall ergänzen sie sich zu einem umfassenden Konzept von Wandel. Am Beispiel der Verwaltung lässt sich das gut beschreiben, weil hier Fragen von Macht und staatlicher Autorität direkt mit dem innovativen Geist zusammenkommen, der notwendig ist, um Behörden und Bürokratie tatsächlich im Sinne des 21. Jahrhunderts zu demokratisieren, sie vor allem responsiver zu machen für die Bürger und Bürgerinnen.

Konkret bedeutet das: Die Verwaltung wird innovativer, indem erst einmal breiter und diverser rekrutiert wird – nicht allein Juristen und Juristinnen, sondern querbeet, mit gemischten Teams, Quereinsteigern aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, andere Biografien, Minderheiten, eben ein Abbild der Gesellschaft. Das bedeutet auch, dass modernes Personalmanagement in Behörden umgesetzt wird, und zwar von Mitarbeitern und Vorgesetzten gemeinsam – das verhindert das berühmte „Nach-oben-Fallen“ und eine Kultur des Mittelmaßes. Wichtig sind auch hier die „lessons learned“, also die Bereitschaft, sowohl Erfolge wie Misserfolge anzuschauen und daraus zu lernen – Innovation erfordert, Dinge auszuprobieren und Fehler auszuhalten.

Das bedeutet auch, dass die Verwaltung der Innovation in Wirtschaft und Wissenschaft mehr Raum gibt und Anreize setzt: durch Sandboxing etwa, schnellere Zulassungs- und Planfeststellverfahren, durch Ausschreibungen, Hackathons, finanzielle Förderung und eigene Kompetenzzentren. Wichtig ist weiter die Standardisierung bundesländerübergreifend und EU-weit, der Breitbandausbau, eine EU-Taxonomie, um für große Investitionen Planungssicherheit zu schaffen, eine Infrastruktur für das gemeinwohlorientierte Sammeln, Auswerten, Nutzen von Daten durch Datenräume und Datentreuhänder.

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Warum eine Transformationsagentur helfen könnte

Es liegt auf der Hand, dass sich Innovation, ähnlich wie Digitalisierung, keinen einzelnen Ressorts oder Bereichen zuordnen lässt. Um das zu koordinieren und zur Stärkung der Transformationsambitionen der Bundesregierung schlagen wir die Gründung einer von allen gesellschaftlichen Stakeholdern getragenen Transformationsagentur vor, vergleichbar mit der britischen Agentur Nesta, die jahrelang erfolgreich den Transfer von akademischem Wissen und künstlerischer Praxis in politische Handlungsoptionen koordiniert und ermöglicht hat.

In Deutschland sollten wir mit einer Transformationsagentur in Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik diesen entscheidenden Schritt weiter gehen. Pilotprojekte, Strukturen, die atmen und begeistern, kreative Entrepreneure, agile Teams, fachlich kompetente Netzwerke, innovative Ideen und eine nachhaltige Infrastruktur: All das muss Raum zur Entfaltung bekommen, muss sich auszuprobieren können, ohne Projekt- und Förderzwänge, auch unter dem Risiko, dass manche Ideen scheitern. Ziel sind Entwicklung und Skalierung sozialer Innovationen mit einem Bottom-up-Ansatz zur Lösung der sich auftürmenden Vielzahl gesellschaftlicher Herausforderungen.

Aber: Innovation allein transformiert keine Systeme, die mit unklaren Zielen und falschen Anreizen einen strukturellen Designfehler haben. Existenzielle Bedrohungen wie die Klimakrise lassen sich nicht allein mit Innovationen beheben, sondern mit systemischen Veränderungen, einer grundlegenden Transformation von Denken und Handeln auf allen gesellschaftlichen Ebenen.

Dr. Andreas Rickert, Vorstand des gemeinnützigen Beratungsunternehmens Phineo, ist Experte für Social Impact und strategisches gesellschaftliches Engagement.

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Georg Diez ist Chefredakteur von The New Institute in Hamburg, war zuvor als Autor und Journalist u. a. beim „Spiegel“ und der „Zeit“ tätig.

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