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Alle Welt redet von “agilen Methoden”. Und klar, Verbesserungen in der Arbeitsorganisation sind doch immer gut. Oder? Ein Gastbeitrag von Gerhild Vollherbst, Organisations- und Personalentwicklung bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung

Was bewegt dich dazu, diesen Beitrag zu lesen? Vielleicht “hakt” es in deinem Team und du fragst dich, was du tun kannst? Oder du bist unzufrieden mit den Ergebnissen und weißt nicht so recht, woran es liegen könnte? Vielleicht denkst du aber auch, dass ihr doch ganz gut miteinander arbeitet – aber jetzt hörst du immer wieder von “New Work”, innovativen Arbeitsmodellen und agilen Prozessen und würdest das gerne auch einführen?

Immer mehr Organisationen beginnen, in “selbstorganisierten Teams” – also ohne formale Führungskraft und mit selbst definierten Rollen – oder mit “agilen Methoden” wie zum Beispiel Scrum, Kanban oder Design Thinking zu arbeiten.

Zum Beispiel …

Agil arbeiten – nicht für alle das Richtige

Für viele klingt das attraktiv: selbst entscheiden zu können, was das eigene Arbeitsgebiet umfasst, Vorgehensweisen, Ziele und Ergebnisse mitzubestimmen und immer wieder nach den Bedarfen der Zielgruppe oder Kund*innen auszurichten usw. Und wer wünscht sich nicht, sich selbst weiterzuentwickeln, Neues dazu zu lernen?

Doch Vorsicht: Genau hier gilt es aufmerksam zu sein. Manchmal gehen wir davon aus, dass andere das Gleiche wollen wie wir selbst. Oder anders gesagt: Die Maßnahme wird beschlossen, ohne vorher den Bedarf und das Ziel zu klären. Was braucht das Team wirklich?

Arbeitsprozesse-Check mit Review und Retro

Bevor wir anfangen, neue Prozesse oder eine neue Form des Projektmanagements einzuführen, sollten wir klären, welches Ziel die Veränderung abdecken soll und ob die Veränderung für die Beteiligten wirklich hilfreich ist. Dafür können wir zum Beispiel Tools aus dem agilen Arbeiten nutzen.

Die agile Welt unterscheidet zwei Formate, mit denen ihr die eigenen Prozesse und die Zielerreichung reflektieren könnt: Review und Retro.

Im Review fragen wir danach, ob das Ergebnis der Arbeit zu einem verabredeten Zeitpunkt den Erwartungen der Zielgruppe/der Kund*innen entspricht. Sind wir auf dem richtigen Weg, haben wir das Ziel im Blick? Der Fokus liegt hier auf den Zwischenergebnissen im Arbeitsprozess bzw. dem Endergebnis.

Die Retro(spektive) dagegen hat zum Ziel, die Qualität der Zusammenarbeit zu reflektieren. In der agilen Haltung gehen wir davon aus, dass ein Team bessere Ergebnisse erzielt, wenn es seine Zusammenarbeit regelmäßig reflektiert und verbessert.

Unsere Fragen könnten also sein: Was hat in unserer Zusammenarbeit gut geklappt? An welchen Stellen im Prozess hat es gehakt? Schaut hier nicht nur auf die Prozessschritte an sich, sondern auch auf die Stimmung im Team, auf eure Kommunikation.

Wichtig bei Review und Retro:

  • Retros und Reviews sind Teamaufgabe, alle tragen mit ihrer jeweiligen Perspektive dazu bei. Visualisiert eure Reflexion so, dass alle sehen, um was es geht! Dazu eignen sich analoge Pinnwände oder ein digitales Whiteboard ganz gut.
  • Achtet darauf, zunächst möglichst ohne Interpretation zu benennen, was ihr im Prozess wahrgenommen habt. Vermischt dies noch nicht mit den Schlussfolgerungen!
  • Gebt euch Zeitfenster für die einzelnen Schritte und eine Moderation, die darauf achtet!

Zuerst beobachten und benennen, ohne zu bewerten

Grundsätzlich verstehen wir unter Beobachten eine Wahrnehmung von mindestens einem der fünf Sinne. Was könnt ihr sehen, hören, riechen, schmecken oder ertasten?

Das klingt einfach, ist es aber oftmals nicht. Viel zu schnell sind wir im Alltag dabei, Beobachtetes gleich mit einer Deutung oder einer Bewertung zu verknüpfen.

Zum Beispiel: Das Team beobachtet, dass ein Kollege oftmals bis in die Nacht arbeitet. Gedeutet wird dies von den einen damit, der Kollege sei wohl nicht gut organisiert. Die anderen glauben, er sei Workaholic und so sei er eben. Bei der Retro kommt die Beobachtung zur Sprache, und es stellt sich heraus, dass der Kollege selbst sehr unzufrieden mit der Situation ist. Er freut sich, dass das Team jetzt darüber spricht.

Dann interpretieren und Schlussfolgerungen ziehen

Inwiefern sollten wir etwas ändern , um das Ziel besser zu erreichen? An welchen Stellen können wir unsere Zusammenarbeit verändern? Welche Fragen fallen uns dazu ein?

Zum Beispiel: Das Team fragt bei der Retro, was den Kollegen unzufrieden macht. Was läuft nicht gut? Das Ergebnis ist, dass er sehr gerne angenehmere Arbeitszeiten einhalten würde. Aber er kann die Monatsabrechnungen oftmals nicht pünktlich liefern, weil ihm Zuarbeiten von Kolleg*innen fehlen. Was könnte verändert werden, um das Ziel – pünktliche Monatsabrechnungen – besser zu erreichen? Ein, zwei Schnittstellenprozesse müssten anders gestaltet werden. Entsprechende To dos werden verabredet, adressiert und mit Fristen versehen. In der nächsten Retro wird überprüft, ob das Ziel jetzt gut erreicht werden kann.

Arbeitsprozesse reflektieren, ganz konkret

Klassische Fragen der Retro sind:

  1. Was lief gut?
  2. Wo gab es Hürden?
  3. Welche Fragen bewegen mich?

Vielleicht habt ihr aber Lust auf ganz andere Fragen? Praktische und kreativ anregende Beispiele dafür, wie ihr eure Reflexionsformate gestalten könnt, liefert der retromat.org – übrigens in sieben Sprachen.

Der Retromat gliedert die Retro in 5 Schritte:

  1. Gemeinsam beginnen
  2. Themen sammeln
  3. Erkenntnisse gewinnen
  4. Entscheidungen treffen
  5. Gemeinsam abschließen

3 Beispiele, wie ihr neue Ideen entwickelt

Damit könnten wir es nun bewenden lassen – wir haben beobachtet und analysiert, wie es um die Zielerreichung und die Qualität der Zusammenarbeit steht. Und wir haben Schlussfolgerungen gezogen, was wir ändern wollen. Woher bekommen wir nun aber Ideen, um neue Wege einzuschlagen?

1. Das integrale Modell

Damit wir uns nicht nur auf die prozesshafte Ebene konzentrieren, sondern alle Dimensionen eines Teams im Blick haben, können wir uns zum Beispiel vom Vier-Quadranten-Modell nach dem Philosophen Ken Wilber inspirieren lassen. Damit lassen sich jedes Problem und jede Entwicklung innerhalb einer Organisation von allen Seiten betrachten, um nachhaltige Lösungswege zu entwickeln. Das geschieht, indem sowohl die Ich- und die Wir-Perspektive als auch das Außen (Strukturen, Prozesse, Verhalten) und das Innen (Kultur, Mindset) einer Organisation bzw. eines Teams berücksichtigt werden.

2. Das systemische Teamsteuerungs-Modell

Unterschiedliche Perspektiven
in einer Reflexion einzunehmen, kann uns immer wieder neue Ideen eröffnen, wo und wie Veränderung hilfreich sein kann. Auf ein Team und dessen Zusammenarbeit können wir zum Beispiel auch mit den “drei systemischen Brillen” schauen: Im systemischen Teamsteuerungs-Modell unterscheiden Cornelia Edding und Karl Schattenhofer die drei Dimensionen

  • Innere Umwelt: die jeweiligen Personen
  • Team als soziales System: das Team
  • Äußere Umwelt: die Gesamtorganisation oder das Umfeld

Das Modell erklären Edding und Schattenhofer detailliert in ihrem Buch “Einführung in die Teamarbeit”.

Reflexionsfragen könnten sein:

  • Was braucht jedes Teammitglied, um gut und zufrieden arbeiten zu können?
  • Welche Regeln gibt sich das Team für seine Zusammenarbeit?
  • Welche Bedingungen ergeben sich aus dem Kontext der Gesamtorganisation? Wie funktionieren Schnittstellen zu anderen Teams?

3. Team-Shadowing

Natürlich könnten wir uns auch Anregungen bei anderen Teams holen und einfach mal fragen: Wie macht ihr das? Wie gestaltet ihr eure Team-Meetings? Was ist eure Good Practice für Jahresberichte an die Zuwendungsgeber*innen? Wie feiert ihr eure Erfolge?

Weitere Tools und Methoden

Auch hier findet ihr Inspirationen, Beispiele und Tools für eure Arbeitsprozesse:

Und immer wieder: Eine neue Retro terminieren!

Wenn ihr dann eure neuen Vorgehensweisen oder Absprachen eingeführt habt, vergesst nicht, sie immer wieder zu reflektieren. Haben die Veränderungen Verbesserungen im Sinne der Zielerreichung gebracht? Was sollten wir noch einmal anpassen?

Retros und Reviews können regelmäßige Highlights zur Team-Pflege werden. Vor allem, wenn wir (uns) danach feiern!