Finan­zi­el­le Sta­bi­li­tät für Non-Profits

Infla­ti­on und ande­re Kri­sen: Mehr finan­zi­el­le Stabilität!

Juliane Werlitz,
25.11.2022

Ener­gie- und Lebens­mit­tel­prei­se schie­ßen in die Höhe, belas­ten pri­va­te Haus­hal­te, Wirt­schaft und den Staat. Wir fra­gen: Was bedeu­tet die stei­gen­de Infla­ti­on für die Zivil­ge­sell­schaft? Und was hilft Orga­ni­sa­tio­nen und ihren Beschäf­tig­ten, damit auch sie gut durch die Kri­se kom­men? Sicher ist: För­dern­de kön­nen mit frei­en Gel­dern hel­fen, aber der eigent­li­che Hebel liegt bei der Politik. 

Zivil­ge­sell­schaft ohne Druck?
Gibt es nicht.

Die Arbeit gemein­nüt­zi­ger Orga­ni­sa­tio­nen hat einen hohen gesell­schaft­li­chen Stel­len­wert. Ihr Enga­ge­ment hilft benach­tei­lig­ten Men­schen, stärkt unter­fi­nan­zier­te The­men­be­rei­che, för­dert den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt und stößt nach­hal­ti­gen Wan­del an. Mil­lio­nen Men­schen arbei­ten im gemein­nüt­zi­gen Sek­tor, meist mit viel Lei­den­schaft, oft aber ohne Per­spek­ti­ve und finan­zi­el­le Sicherheit. 

Nied­ri­ge Gehäl­ter, befris­te­te Arbeits­ver­trä­ge und schlech­te Infra­struk­tur machen den gemein­nüt­zi­gen Sek­tor für Arbeitnehmer*innen unat­trak­tiv. Vie­le Beschäf­tig­te wan­dern spä­tes­tens dann in bes­ser bezahl­te Berei­che ab, wenn sie eige­ne Fami­li­en zu ernäh­ren haben. Der gemein­nüt­zi­ge Sek­tor ver­liert enga­gier­te, moti­vier­te Men­schen und hohe Fach­kom­pe­tenz. Bei den Ver­blei­ben­den wächst der Druck. Die­ser nega­ti­ve Effekt ver­stärkt sich in Krisenzeiten.

Dass wirt­schaft­li­che Sta­bi­li­tät im gemein­nüt­zi­gen Sek­tor sel­ten ist, liegt nicht an man­geln­der Pro­fes­sio­na­li­tät oder feh­len­dem Enga­ge­ment. Gesetz­li­che Rege­lun­gen und die gän­gi­ge För­der­pra­xis erschwe­ren das Erzie­len von Über­schüs­sen und den Auf­bau von Rücklagen.

Finan­zi­el­le Sta­bi­li­tät für Non-Pro­fits?
Gibt es nicht.

Im gemein­nüt­zi­gen Sek­tor geht es nicht ums Geld, son­dern um die gute Sache? Stimmt, aber auch Arbei­ten mit Sinn braucht pro­fes­sio­nel­le, nach­hal­ti­ge Struk­tu­ren und finan­zi­el­le Sta­bi­li­tät – in der Pri­vat­wirt­schaft übri­gens eine Selbstverständlichkeit. 

Pro­jekt­fi­nan­zie­run­gen und (zweck­ge­bun­de­ne) Spen­den sind tem­po­rä­re Finan­zie­rungs­wel­len. Sie ermög­li­chen die Umset­zung der Pro­jekt­ar­beit, aber kei­ne lang­fris­ti­gen Arbeits­ver­trä­ge, beruf­li­che Per­spek­ti­ven, Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung oder Wis­sens­trans­fer. Wirt­schaft­li­che Sta­bi­li­tät heißt für Non-Pro­fits, die­se Lücken zwi­schen ein­zel­nen Finan­zie­rungs­wel­len zu schlie­ßen, Struk­tu­ren zu stär­ken und Rück­la­gen auf­zu­bau­en. Dazu brau­chen sie insti­tu­tio­nel­le För­de­run­gen, Spen­den ohne Zweck­bin­dung oder Ein­nah­men aus wirt­schaft­li­chem Geschäfts­be­trieb. Nur wer Rück­la­gen bil­det, ist eini­ger­ma­ßen zukunfts­si­cher und nach­hal­tig auf­ge­stellt, eine Vor­aus­set­zung für wir­kungs­ori­en­tier­tes Arbeiten. 

Das Erwirt­schaf­ten sol­cher frei­en finan­zi­el­len Mit­tel erfor­dert per­so­nel­le Kapa­zi­tä­ten, die mit Pro­jekt­fi­nan­zie­run­gen nicht finan­zier­bar sind. Ohne zusätz­li­ches Per­so­nal gibt es aber kei­ne frei­en finan­zi­el­len Mit­tel – und ohne freie finan­zi­el­le Mit­tel kein zusätz­li­ches Per­so­nal. Ein fata­ler Kreislauf.

Schon ein gering­fü­gi­ger Jah­res­über­schuss (ca. 5 – 10%) hilft in guten und erst recht in wirt­schaft­lich schwie­ri­gen Zei­ten, eine über­le­bens­fä­hi­ge Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tur und finan­zi­el­le Rück­la­gen aufzubauen.

Nicht zum ers­ten Mal wird der gemein­nüt­zi­ge Sek­tor ver­ges­sen, wenn es um staat­li­che Kri­sen­hil­fe geht. Ent­we­der sind Kri­te­ri­en nicht erfüll­bar (wie beim Coro­na-Kre­dit­son­der­pro­gramm 2020) oder sie ber­gen zusätz­li­che Risi­ken – wie die Infla­ti­ons­aus­gleichs­prä­mie, die von Arbeitgeber*innen bzw. Unter­neh­men gezahlt wer­den kann. Sie soll Arbeitnehmer*innen und pri­va­te Haus­hal­te entlasten.

Aber ob steu­er­frei oder nicht: Zusätz­li­che Zah­lun­gen sind für Non-Pro­fits in der Regel nicht mög­lich. Die­se müss­ten aus frei­en Gel­dern oder bereits gebil­de­ten Rück­la­gen finan­ziert wer­den. Wenn über­haupt vor­han­den, wer­den sie aber für stei­gen­de Heiz- und Strom­kos­ten benö­tigt. Gleich­zei­tig gehen Ein­nah­men von Spen­den­gel­dern zurück, denn Infla­ti­on belas­tet das Porte­mon­naie vie­ler Men­schen. Man­chen Non-Pro­fits droht die Insolvenz. 

Wer mit der Infla­ti­ons­aus­gleichs­prä­mie sei­ne Rück­la­gen auf­braucht, ent­schei­det sich gegen Gehalts­er­hö­hun­gen, Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung und Sicher­heit. Was aber, wenn die nächs­te Kri­se kommt?

Leid­tra­gen­de der wirt­schaft­li­chen und men­ta­len Belas­tun­gen sind aber nicht die Insti­tu­tio­nen, Unter­neh­men oder Orga­ni­sa­tio­nen, das sind die Men­schen dahin­ter. PHI­NEO hat sich des­halb für die Aus­zah­lung einer Infla­ti­ons­aus­gleichs­prä­mie für sei­ne Mit­ar­bei­ten­den ent­schie­den. Durch Über­schüs­se aus dem wirt­schaft­li­chen Geschäfts­be­trieb, insti­tu­tio­nel­le För­de­run­gen und freie Spen­den ist das möglich. 

Wir wis­sen aber sehr gut: Die wenigs­ten Non-Pro­fits sind dazu in der Lage. Die Zah­lung der Infla­ti­ons­aus­gleichs­prä­mie erfor­dert Rück­la­gen und die sind im gemein­nüt­zi­gen Sek­tor struk­tu­rell nicht vor­ge­se­hen. Das muss sich ändern!

Im gemein­nüt­zi­gen Sek­tor droht die Altersarmut

Gemein­nüt­zi­ge Orga­ni­sa­tio­nen sind wie Unter­neh­men, nur mit einem beson­de­ren Pro­dukt: Sie küm­mern sich um die Ver­bes­se­rung der Lebens­la­gen von Men­schen. Gleich­zei­tig sind im gemein­nüt­zi­gen Sek­tor selbst hun­dert­tau­sen­de pre­kä­re Arbeits­ver­hält­nis­se ent­stan­den. Und nicht nur das: Vie­le Beschäf­tig­te ste­hen am Ende ihres Arbeits­le­bens vor der Alters­ar­mut, häu­fig genug sind Frau­en betrof­fen. Non-Pro­fits sind aber kei­ne schlech­te­ren Arbeit­ge­ber als For-pro­fits, das Pro­blem ist struk­tu­rel­ler Natur. Die bestehen­de För­der­pra­xis (För­de­run­gen mit Pro­jekt­be­zug, meist 2 bis 3 Jah­re Lauf­zeit) schafft Unsi­cher­heit, ver­hin­dert Agi­li­tät und Inno­va­tio­nen. Das muss sich ändern! 

Für uns stellt sich die Fra­ge: Was ist in unse­rer Gesell­schaft sozia­les Han­deln und Arbei­ten wert? Die Ant­wort steht und fällt mit dem Bewusst­sein, was sozia­le Unter­neh­men leis­ten, von der Wohl­fahrts­pfle­ge über die Zivil­ge­sell­schaft bis hin zu Sozi­al­un­ter­neh­men. Klar ist: Die Poli­tik muss Geset­ze refor­mie­ren und nach­hal­ti­ge Struk­tur­fi­nan­zie­run­gen im gemein­nüt­zi­gen Sek­tor sicher­stel­len. Gebraucht wer­den kei­ne ein­zel­nen Hilfs­maß­nah­men im Kri­sen­fall, son­dern sys­te­mi­sche Lösungen! 

Wir set­zen uns für einen Para­dig­men­wech­sel ein: Von jeder För­de­rung soll­ten grund­sätz­lich 10 Pro­zent als freie Mit­tel für die Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tur und den Auf­bau von Rück­la­gen ver­wend­bar sein. 

Die Infla­ti­ons­aus­gleichs­prä­mie müs­sen Non-Pro­fits aus frei­en finan­zi­el­len Mit­teln oder Rück­la­gen finan­zie­ren. Die Zah­lung schwächt ihre Sta­bi­li­tät und Sicher­heit, denn sie haben kei­ne Mög­lich­keit, die­se mit gestei­ger­tem Umsatz aus­zu­glei­chen. Schlimms­ten­falls kann das sogar das Aus von mor­gen bedeuten.

Nur weni­ge Orga­ni­sa­tio­nen wissen:

Die Abga­ben­ord­nung (AO) ermög­licht das Erwirt­schaf­ten von Gewin­nen. Dabei ist die Höhe nicht begrenzt, nur die Gewinn­ver­wen­dung ist regle­men­tiert. Auch Rück­la­gen dür­fen gebil­det wer­den. Anders als Gewin­ne sind sie in der Höhe begrenzt, aber sie sind groß­zü­gig bemes­sen. Prak­tisch hat das kaum Rele­vanz, denn den wenigs­ten Orga­ni­sa­tio­nen ist das Bil­den von Rück­la­gen aus frei­en Mit­teln über­haupt möglich.

Wie kann Non-Pro­fit-Orga­ni­sa­tio­nen gehol­fen werden?

Kurz­fris­ti­ge Hilfen
  • Finan­zie­rungs­hil­fen zum Aus­gleich hoher Ener­gie- und Heizkosten
  • Spen­den ohne Zweckbindung
  • Locke­run­gen von Vor­ga­ben bei Fördervereinbarungen
  • unbü­ro­kra­ti­sche Umwid­mun­gen von Pro­jekt­gel­dern in freie Mittel
Lang­fris­ti­ge Hilfen
  • För­der­ver­trä­ge mit einer Lauf­zeit über 3 Jahre
  • För­de­rung für Ver­wal­tungs­kos­ten und den Auf­bau nach­hal­ti­ger Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren (z.B. Per­so­nal, Wei­ter­bil­dung, Büroausstattung)
  • Pro­jekt­för­de­run­gen mit einer Pau­scha­le an frei­en Mit­teln kombinieren
  • Akzep­tanz markt­üb­li­cher Gehalts­for­de­run­gen in den För­der­an­trä­gen (gemes­sen an ande­ren Bran­chen, u.a. dem öffent­li­chen Dienst oder der Wohlfahrt)
  • För­de­run­gen ohne Zweck­bin­dung für den Auf­bau finan­zi­el­ler Rücklagen

War­um müs­sen gemein­nüt­zi­ge Orga­ni­sa­tio­nen und Ver­ei­ne beson­ders unter­stützt werden?


  • Sie haben eine wich­ti­ge gesell­schaft­li­che Aufgabe!
  • Gemein­nüt­zi­ge Orga­ni­sa­tio­nen und Ver­ei­ne kön­nen ihre Ein­nah­men nicht selbst beeinflussen.
  • Arbeits­platz­un­si­cher­heit und nied­ri­ge Gehäl­ter bedeu­ten ein hohes Armuts­ri­si­ko für die ca. 4 Mio. Beschäftigten.
  • Ca. 10% aller ver­si­che­rungs­pflich­tig Beschäf­tig­ten in Deutsch­land kei­ne Chan­ce auf die Zah­lung von Infla­ti­ons­aus­gleichs­prä­mi­en haben.
  • Der gemein­nüt­zi­ge Sek­tor hat mit sei­ner Brut­to­wert­schöp­fung eine enor­me Bedeu­tung, da laut Schät­zun­gen jähr­lich ca. 120 Mrd. Euro Umsatz erzielt wer­den, ver­gleich­bar mit der gesam­ten Baubranche.
  • Gemein­nüt­zi­ge Orga­ni­sa­tio­nen und Ver­ei­ne kön­nen sich nicht selbst helfen.

Wenn Sie Fragen haben:

Wiebke Gülcibuk

Leitung Kommunikation & Vorstandsbevollmächtigte
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