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Ähnlich wie Menschen durchlaufen auch Organisationen verschiedene Entwicklungsstufen. Was die Phasen einer Non-Profit so besonders macht und warum Krisen auch immer eine Chance für Entwicklung und Transformation sind, erklären die Sozialökonomen und Organisationsforscher Bernard Lievegoed und Fritz Glasl in einem praxistauglichen Modell.

Seid ihr gerade dabei, eine Non-Profit zu gründen? Dann befindet ihr euch in der Pionierphase. Oder seid ihr schon einen Schritt weiter und habt klare Rollen wie Buchhaltung und Projektleitung an die Mitarbeitenden vergeben? Dann steckt ihr vermutlich mitten in der rationalen Phase. Zumindest nennen die beiden Wissenschaftler Lievegoed und Glasl es in ihrem Lebensphasenmodell so (“Dynamische Unternehmensentwicklung: Grundlagen für nachhaltiges Change Management”, 6. Auflage 2021). Wir haben die einzelnen Entwicklungsstufen und den erfolgreichen Umgang mit ihren Herausforderungen zusammengefasst.

1. Die Pionierphase: Volle Fahrt voraus!

Obwohl eure Non-Profit noch in den Kinderschuhen steckt, wächst sie in dieser kreativen, flexiblen und schnellen Phase rasant. Dreh- und Angelpunkt der Organisation ist ein*e motivierte*r Pionier*in, energetisch voranschreitend und immer das große Ziel im Blick. Gemeinsam mit meist vertrauten Personen, die diesen Enthusiasmus teilen investiert ihr viel Zeit und Engagement in die Neugründung.

Struktur und Arbeitsweise werden von der Pionier-Persönlichkeit geprägt. Statt klaren Richtlinien und Prozessen erfolgt die gemeinsame Arbeit informell und explorativ in einem meist vertrauensvollen und familiären Verhältnis. Entscheidungen werden von den Pionier*innen selbst getroffen, und zwar schnell und ohne große Diskussionen. Die Mitarbeitenden übernehmen entsprechend ihrer Fähigkeiten personalisierte Funktionen.

Die Pionierkrise

Mit dem rasanten Wachstum eurer Organisation gehen auch große Veränderungen einher. Werden beispielsweise neue Personen angestellt, die anders als die erste Generation nicht von Beginn an den geteilten Enthusiasmus und Einsatz für die Sache erfahren haben, kann das anfängliche Gefühl der familiären Vertrautheit verloren gehen.

Die durch das schnelle Wachstum bedingte steigende Komplexität der Arbeit und die wachsende Zahl der Mitarbeiter*innen bedürfen entsprechender Maßnahmen: Jetzt müssen angepasste Prozesse, Strukturen sowie für alle verständliche Strategien zum Erreichen der Organisationziele her. Werden die alten Prozesse nicht an die neuen Gegebenheiten der wachsenden Organisation angepasst, droht die Gefahr, dass Chaos ausbricht.

Oftmals möchte aber ein*e Pionier*in die informelle Art des Managements nicht aufgeben und Verantwortung ungern abgeben. Neue Mitarbeitende hingegen haben das Bedürfnis, für ihre Aufgabenbereiche selbst Entscheidungen zu treffen. So stoßen die Bedürfnisse der neuen Generation oft auf Widerstand bei Pionier*innen und Mitarbeitenden der ersten Generation, die sich gerne an die familiäre informelle Anfangszeit der Organisation erinnern. Als Konsequenz nehmen die Motivation ab und organisationsinterne Konflikte zu.

Diese Entwicklungen gipfeln typischerweise in einer Krise. Wird die Krise aber, insbesondere von der Führung, als solche erkannt, kann sie gezielt bearbeitet und überwunden werden. Wenn auch unter Wachstumsschmerzen, kann sich eure Non-Profit auf diese Weise transformieren und in die nächste Phase gelangen. Für diese Übergangsphase kann es sinnvoll sein, die Hilfe einer externen Moderation in Anspruch zu nehmen.

Erfolgreich durch die Pionierkrise:

  • Positiv bleiben! Betrachtet die Krise als einen natürlichen Teil eurer Entwicklung und nicht als ein Versagen.
  • Nehmt die Bedürfnisse sowohl der alten als auch der neuen Generation ernst und hört euch gegenseitig zu. Versucht dabei, umherschwirrende, konträre Gefühle zu identifizieren. Mit gegenseitigem Verständnis fällt es leichter, einen gemeinsamen Mittelweg zu finden.
  • Hinterfragt herkömmliche Arbeitsweisen (z.B. die Zusammenarbeit oder Entscheidungsprozesse) und Werte im Hinblick darauf, ob sie nach wie vor auf eure Vision und Mission einspielen. Aspekte, die weiterhin funktionieren, können beibehalten werden. Die Aspekte, die in der heranwachsenden Organisation nicht mehr funktionieren, müssen verändert oder angepasst werden. So ebnet ihr den Weg für neue Prozesse und Werte.
  • Zwingt euch nicht in eine Phase der Professionalisierung, wenn ihr noch nicht dazu bereit seid. Ähnlich, wie von Kindern zu erwarten, sich wie Erwachsene zu verhalten, können zu frühe Professionalisierungs- und Bürokratisierungsmaßnahmen euren energetischen Pioniergeist schnell ersticken.
  • Lasst los! Viele Pionier*innen verlassen die Organisation während der Pionierphase und gründen an einer anderen Stelle eine neue Organisation. Das liegt in ihrer Natur und ist völlig in Ordnung.

2. Die rationale Phase: Wer schafft hier die Ordnung?

Gelangt eine Non-Profit in die rationale Phase, verwandelt sich die intuitive, persönliche und experimentelle Arbeitsweise in eine geplante, objektive und vor allem bewusste Art, zu arbeiten. Gemeinsam haltet ihr Ziele, Werte und Richtlinien schriftlich fest, denn der Großteil des Teams fordert jetzt klare Vereinbarungen zu den Prozessen, Strukturen, Entscheidungsfindungen und formalen Standards. Bei diesen Prozessen bezieht ihr euch aktiv auf eure Vision/Mission und ruft diese dadurch vermehrt ins Bewusstsein.

Es kommt zur Ausdifferenzierung verschiedener Positionen, Rollen und Aufgaben. Ihr übernehmt in verschiedenen Abteilungen oder Projekten spezialisierte Funktionen, etwa als Projektleitung, Projektmitarbeitende oder Buchhalter*in. Mit der Ausdifferenzierung der verschiedenen Bereiche wird euch bewusst, dass es einer neuen Form der Führung bedarf. Denn der oder die Pionier*in kann in dieser Form der ausdifferenzierten Organisation nicht mehr alles alleine initiieren, überprüfen und entscheiden. So werden Führungsaufgaben in Bezug auf Ziele, Strategien, Personal sowie Monitoring und Evaluation definiert und festgehalten.

Die rationale Krise

Die neuen durchgeplanten Arbeitsweisen in einer Non-Profit zu etablieren, ist nicht immer ein leichter Prozess. Mitarbeitende aus der ersten Generation könnten sich gegen die neuen Strukturen und Prozesse der rationalen Phase wehren, da sie nicht wollen, dass eure Non-Profit zu sehr bürokratisiert wird.

Mit der Ausdifferenzierung einer Non-Profit besteht außerdem zunehmend die Gefahr, dass der Blick fürs große Ganze verloren geht. Denn wenn die ursprüngliche Pioniersidee auf viele verschiedene Bereiche, Projekte und Personen verteilt wird, konzentrieren sich die verantwortlichen Mitarbeitenden vermehrt auf ihren jeweilen Arbeitsbereich und die entsprechenden Unterthemen. So kann es passieren, dass sich einzelne Personen und Projekte entweder von sich aus isolieren oder ungewollt abgekapselt fühlen. Der kollektive Sinn eurer Organisation droht so zu zersplittern.

Mitarbeitende, die in dieser Phase in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen immer selbstbewusster arbeiten, können sich durch das starrer werdende Netz aus Hierarchien und Regeln eingeschränkt und zunehmend frustriert fühlen. Die Ausdifferenzierung in verschiedene Projekte und Abteilungen kann außerdem ein gegenseitiges Wetteifern auslösen.

Die wachsende Unzufriedenheit von Mitarbeitenden kann dazu führen, dass sie die Regeln und Prozesse in Frage stellen oder brechen. Verschärft eure Führung als Reaktion die Regeln und Sanktionen, kann dies zu einer sogenannten kalten Krise führen: ein stiller Widerstand der Mitarbeitenden, der sich im Verlust von Motivation und Produktivität sowie in höheren Fehlzeiten oder Fluktuation äußern kann. Eine sogenannte warme Krise tritt dann auf, wenn der Widerstand der Mitarbeitenden offen ausgetragen wird, beispielsweise über offene Beschwerden oder Arbeitsverweigerung.

Erfolgreich durch die rationale Krise:

Auch diese Phase könnt ihr in einer gesunden Form durchlaufen. Rationale Organisationen müssen nämlich nicht zwingend übertrieben bürokratisch sein, sondern können hochproduktiv, gut organisiert und voller Leben sein. Die differenzierte Arbeitsweise kann neue Energien freisetzen und zur positiven Expansion der Organisation führen.

  • Schafft einen menschlichen und persönlichen Ausgleich zu den durchbürokratisierten Verfahren und Prozessen, um eure Non-Profit trotz rationaler Arbeitsweisen gesund und lebendig zu halten. Dafür eignen sich z.B. gemeinsame Mittagessen, Teamtage, persönliche Check-ins bei Meetings, Geburtstagspatenschaften oder informelle Flurgespräche zwischendurch.
  • Hört die Mitarbeitenden aller Generationen an und nehmt sie ernst. Dass ältere Mitarbeitende nostalgisch über die alten Familientage sprechen, gehört auch in dieser Phase dazu und trägt dazu bei, dass einige persönliche Aspekte der Pionierphase beibehalten werden.
  • Fragt euch erneut: Welche Arbeitsweisen und Werte funktionieren und können beibehalten werden und was hat ausgedient?
  • Schafft projekt- und abteilungsübergreifende Meetings, um der Isolation einzelner Bereiche entgegenzuwirken, die sich durch die Differenzierung ergibt.

Ist die Frustration der Mitarbeitenden bereits so hoch, dass Motivation und Produktivität kontinuierlich sinken, ist es sinnvoll, die Organisation langsam aber gezielt in die integrierte Phase zu führen. Dafür müssen möglicherweise bestehende Organisationsgrenzen in Form von Abteilungen aufgebrochen werden, um die wachsenden Fähigkeiten der Mitarbeiter*innen in einer anderen Qualität zu fördern.

3. Die integrierte Phase: Die Mischung macht’s!

In dieser Phase vereinen sich Menschlichkeit und Effizienz und damit die besten Eigenschaften der Pionierphase und der rationalen Phase. Eine Mischung, dank der ihr eure vielfältigen Fähigkeiten erfolgreich mobilisieren und einsetzen könnt. In dieser Phase arbeiten in einer Organisation oft sehr talentierte und reife Menschen, die selbstbewusst und voller Stolz auf ihre Leistung und Marke blicken.

Da die Mitarbeitenden mehr und mehr mit Befugnissen ausgestattet werden, bevorzugen sie eher flache, einfachere, dezentralisierte Strukturen, die eine reibungslose Zusammenarbeit und Kommunikation ermöglichen. Statt verschiedener streng voneinander getrennter Projekte und Abteilungen erschafft ihr am besten ein Netzwerk aus Pionierteams. Arbeitsleitend sind in dieser Phase nicht mehr Regeln und Verfahren, sondern eine starke gemeinsame Vision und Vorstellung von Zielen und Werten.

Die integrierte Krise

Eine Krise in der integrierten Phase kommt nicht aus dem Inneren der Organisation, sondern vielmehr durch ihre Isolation von ihrer Umwelt, also durch die Isolierung von anderen Organisationen. Chancen für die Weiterentwicklung der Organisation finden entsprechend auch in der Umwelt statt, etwa durch neue Formen der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen.

Erfolgreich durch die integrierte Krise:

  • Betrachtet eure Vision im Hinblick darauf, was ihr damit außerhalb der Organisation bewirken wollt.
  • Stellt den Konkurrenzgedanken zu anderen Organisationen ab und wagt den Blick nach außen!
  • Arbeitet mit anderen Organisationen zusammen, um gemeinsam noch mehr zu bewirken!

4. Die assoziative Phase: Gemeinsam statt einsam!

Voraussetzung für ein Bestehen in dieser Phase ist das Bewusstsein und die Akzeptanz einer höheren, gemeinsamen Verantwortung: das geteilte Schicksal einer gemeinsamen Umwelt, geprägt von zunehmenden gesellschaftlichen Krisen, die gemeinsam bekämpft werden müssen. Dafür muss partnerschaftlich mit anderen Organisationen zusammengearbeitet werden. Denn kein gegenseitiges Wetteifern, sondern nur ein wechselseitiges Beziehungsnetz ermöglicht eine wirkungsvolle Zusammenarbeit und nachhaltige Veränderung.

In dieser Phase gibt es keine spezifische Krise, aber eine große Herausforderung. Diese besteht darin, dass im Organisationsnetzwerk Machtstrukturen entstehen können, innerhalb derer eine oder mehrere Organisationen strategisch die Zusammenarbeit zwischen anderen Organisationen blockieren wollen.

Eine konkreten Fahrplan für diese Herausforderung liefern Glasl und Lievegoed nicht. Wir schlagen vor: Bleibt mit eurem Netzwerk in wohlgesonnenem Austausch und pflegt die Beziehungen zu anderen Organisationen regelmäßig.

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