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Es ist kein Sprint, sondern ein Marathon – aber gemeinsam können wir es schaffen, patriarchale Strukturen im Arbeitsalltag abzubauen. Lisa Jaspers, Juliane Seumel und Victoria Weimert sind schon mittendrin. Welche ersten Schritte dabei helfen können, dass wir uns alle wohler fühlen, warum das auch mit knappen Ressourcen gelingen kann und wie ihr das Thema an Fördernde herantragen könnt.

Der Gender Pay Gap existiert nach wie vor, aber immerhin hat das Bundesarbeitsgericht folgendes Grundsatzurteil gefällt: Gleiche Bezahlung für Männer und Frauen ist keine Verhandlungssache.

In puncto Gleichberechtigung am Arbeitsplatz sind wir damit einen guten Schritt weiter – aber es gibt noch viel zu tun. Das betrifft auch die Machstrukturen in Unternehmen und Organisationen jenseits der Bezahlung. Lisa Jaspers, Victoria Weimert und Juliane Seumel sind Expertinnen auf diesem Gebiet und haben uns spannenden und inspirierenden Input gegeben. Die wichtigsten Take-Aways lest ihr hier:

Wie können wir patriarchale Strukturen innerhalb Organisationen gemeinsam aufbrechen?

Juliane Seumel: Verkürzt formuliert ist für andere da zu sein der Selbstzweck und der Wert gemeinnütziger Organisationen. Wenn man an sie nun die Botschaft adressiert, dass sie etwas falsch machen, sorgt das oft für Widerstände. Die Antwort ist dann oft: ‘Aber wir wollen doch was Gutes.’
Meine erste Empfehlung ist: Streicht doch mal das Wort ‘aber’ und macht ein ‘und’ daraus: ‘Wir wollen was Gutes UND Gleichberechtigung.’ Dieses Hindernis zu überwinden und Kommunikation zuzulassen ist glaube ich der erste wichtige Schritt.

Victoria Weimert: Ich glaube, dass es Kommunikationsräume geben muss, innerhalb derer man die Möglichkeit hat, dieses Thema anzusprechen. Die Mitarbeitenden sollten abseits von der täglichen Arbeitssituation in einem wie auch immer gearteten Raum die Möglichkeit haben, dazu in den Austausch zu gehen.

Ist das nicht utopisch im sozialen Sektor, wo die Ressourcen so knapp sind?

Lisa Jaspers: Ich glaube, dass Verbundenheit und gute Beziehungen das Effizienteste überhaupt sind. Denn dann gibt es kein Misstrauen und keinen Kontrollzwang. Das bedeutet: Wenn wir in unsere Beziehung zueinander investieren, indem wir uns Zeit und Räume nehmen, können wir als Organisation viel effizienter und besser arbeiten.

Dass das ineffizient ist, ist eine sehr patriarchale und obendrein falsche Vorstellung.

Lisa Jaspers

Wenn man sich jeden Tag eine Stunde Zeit nimmt, um in Beziehung zueinander zu gehen, geht der Output der Organisation meiner Einschätzung nach im Vergleich zur investierten Zeit exponentiell nach oben. Das kann ich aus Erfahrung sagen, weil ich seit mehreren Jahren in Teams arbeite, in denen diese Art von Verbundenheit fast immer besteht.

Juliane Seumel: Aus der Fundraising-Sicht, wo es immer darum geht, welche Ressourcen wofür und mit welchen Zielen zur Verfügung gestellt werden, empfehle ich: Plant in eure Projekte Zeit ein, damit ein Team gut zusammenarbeiten kann. Das kann zum Beispiel eine Stunde pro Tag sein, die Teil der Arbeitszeit ist.

In dieser einen Stunde geht es nicht um KPIs und die Wirkungslogik, sondern darum, eine gemeinsame Basis zu schaffen.

Juliane Seumel

Wenn wir den Auftrag einer NGO wirklich umsetzen wollen, Menschen zu helfen und eine gerechtere Gesellschaft zu erreichen, dann müssen wir das auch nach innen leben. Mein Appell an Stiftungen ist deshalb: mehr freie Spenden und weniger enge Projektförderung.

Wie geht man mit der echten Welt um, die noch nicht bereit dafür ist? Zum Beispiel mit konservativen Förderstiftungen?

Lisa Jaspers: Wenn man sich mit der echten Welt unterhält, ist es immer gut, sich vorher mit Studien darauf vorzubereiten, zum Beispiel zur Produktivität in Teams. Denn all das ist bereits erforscht und messbar. Aber es ist auch ein Gefühl – und das haben auch diejenigen, die vom Patriarchat am allermeisten profitieren.

Viele Männer, die ich kenne, sind im Privatleben total verbunden mit sich selbst, müssen aber im Beruf eine Seite von sich zeigen, die sich für sie nicht gut anfühlt.

Lisa Jaspers

Deshalb kann es sich lohnen, dieses Thema anzusprechen und vielleicht auch mal Workshop-Formate dahingehend zu verändern. Es führt kein Weg daran vorbei, und die Projekte, die solchen Themen Raum geben sind auch erfolgreicher.

Victoria Weimert: Wir bei Pinkstinks haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, klar zu kommunizieren: So arbeiten wir, damit wir gute Ergebnisse erzielen können.

Wir argumentieren damit, dass so neue Impulse in die fördernden Organisationen kommen und sie davon profitieren können.

Victoria Weimert

Die Zusammenarbeit mit einer Organisation, die anders als bisher üblich zum Ziel kommt, kann auch ein Aushängeschild für Fördernde sein. Aber natürlich müssen auch wir immer wieder Kompromisse eingehen.

Juliane Seumel: Es ist okay, wenn man mal Kompromisse macht, denn das Auflösen dieser Machstrukturen ist ein Marathon und kein Sprint. Es ist okay, wenn eine Organisation einfach nur Geld braucht, um erstmal die Arbeit zu machen und die Miete zu bezahlen. Der nächste Schritt kann dann sein, sich ein bisschen mehr Freiraum zu erarbeiten.

Manchmal kann es auch gut sein, wenn bei der Zusammenarbeit mit anderen ein bisschen Reibung entsteht.

Juliane Seumel

Und dann herauszufinden, mit welcher Sprache man diese Menschen erreicht. Im Hinblick auf systemischen Wandel sollten wir nicht nur in unserer NGO-Blase sitzen und uns die Hände schütteln, sondern uns fragen, wie wir mit anderen Systemen in den Austausch gehen können.

Der Austausch fand im Rahmen unserer CAMPUS Forum-Reihe statt – hier könnt ihr euch die Aufzeichnung ansehen:

Packen wir’s an! 7 Praxistipps für den Organisationsalltag

  1. Bildet Banden: Tauscht euch darüber aus, wie ihr patriarchale Machtstrukturen bei der Arbeit erlebt (Juliane Seumel)
  2. Nach dem Bilden von Banden: Überlegt euch, wo erste Veränderungen stattfinden können. Fangt mit kleinen Stellschrauben wie Check-ins bei Meetings an, die vielleicht noch gar nicht so auffallen (Victoria Weimert)
  3. Pick your battles: Versucht nicht, Expert*innen in allen Themenbereichen zu werden, die für den Wandel nötig sind (Juliane Seumel)
  4. Das Verlernen bisheriger Strukturen muss aktiv passieren, braucht Zeit und wenn es nicht unbequem ist, dann macht ihr es nicht richtig (Juliane Seumel)
  5. Bekanntes abzulegen und Neues zu lernen fühlt sich erst einmal unangenehm an. Akzeptiert, dass das ganz normal ist und sich unangenehm anfühlt (Lisa Jaspers)
  6. Ko-Regulation hilft: Sprecht anderen über die Unsicherheiten, die ihr beim Verlernen fühlt (Lisa Jaspers)
  7. Lasst Raum für Emotionen, auch für unangenehme (Victoria Weimert)

Expertinnen:

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